Durch oberirdische Hochspannungsleitungen fließen Spannungen von bis zu 380.000 Volt und dennoch beobachten wir des Öfteren Vögel, die sich ohne Weiteres auf Stromleitungen bequemen. Das Faszinierende daran: der Strom scheint den Tieren nichts auszumachen! Doch ist das wirklich so? Wir haben uns gefragt, wie es die Vögel schaffen, keinen Stromschlag abzubekommen und haben die Gründe dafür herausgefunden.
Vögel auf der Stromleitung: keine Seltenheit
Unser gesunder Menschenverstand sagt uns, wir sollten uns unbedingt von Hochspannungsleitungen aller Art fernhalten – und das ist auch richtig so. Eine Berührung der elektrisierten Kabel wäre wohl ein unweigerlich tödliches Unterfangen für einen Menschen. Anders jedoch verhält es sich bei Vögeln:
Wenn wir Vögel dabei beobachten, wie sie auf einer Stromleitung landen, wird uns auffallen, dass sie dabei nie mit dem Strommast in Berührung kommen. Ihre Beine berühren nach der Landung nur das Stromkabel, welches zwischen den einzelnen Masten gespannt ist. Es entsteht also keine unmittelbare Verbindung zwischen den Vögeln und dem Erdboden. Damit ein Mensch hingegen die Leitung erreicht, müsste er den Strommast hinaufklettern oder eine Leiter benutzen. In jedem Fall entsteht so eine Verbindung zum Erdreich, die wiederum zur Folge hat, dass sich der Strom seinen Weg durch den Menschen hindurch bis in den Boden bahnt.
Doch auch für die Tiere, denen es für gewöhnlich nichts ausmacht, kurzzeitig auf einem Kabel zu campieren, wäre eine gleichzeitige Berührung von Mast und Stromleitung tödlich. Im Moment der Berührung würden auch ihre Körper augenblicklich vom Strom durchfahren und dieser in die Erde weitergeleitet werden.
Physikalische Hintergründe zum Phänomen
Die physikalischen Hintergründe dazu lassen sich kurz und knapp anhand einer allgemein bekannten Tatsache erklären: Der Strom sucht sich immer den Weg des geringsten Widerstandes. Dies ist im Normalfall der Weg durch die Leitung. Warum aber fließt der Strom auch in den Boden ab?
Das Volumen unseres Erdballs kann problemlos große Mengen an Stromzufluss aufnehmen und bietet sich daher hervorragend als Ableitung. Das machen sich beispielsweise auch Blitzableiter zunutze. Doch auch unser Stromnetz selbst besitzt eine sogenannte Erdung, mit der Kurzschlüsse vermieden bzw. abgeleitet werden sollen.
Ermöglicht wird dies unter anderem durch die Betriebserdung direkt am Standort der Generatoren oder Transformatoren. Die Spannungsquellen sind an ihrem sogenannten Sternpunkt mit dem Erdreich verbunden. Dies wiederum hat zur Folge, dass ein Stromkreis unter Umständen auch dann geschlossen wird, wenn der Strom in die Erde abfließt.
Für gewöhnlich ist der Widerstand zum Erdboden für den Stromfluss in den oberirdischen Hochspannungsleitungen jedoch zu groß, weshalb er sich für den Weg durch die Kabel „entscheidet“. Entsteht nun aber eine direkte Erdverbindung, so ist der zu durchquerende Widerstand deutlich geringer und er durchfährt alle leitenden Abschnitte der Verbindung – so auch Mensch und Vogel.
In der Praxis jedoch geschieht ein solches Szenario recht selten. Nahezu selbstverständlich landen die gefiederten Lebewesen nämlich auf dem Kabel, ohne dass dabei eine Verbindung zwischen ihnen, der Stromleitung und dem Erdboden entsteht.
Wissen Vögel, dass sie einen Stromschlag bekommen könnten?
Auf den ersten Blick erscheint es beinahe so, als wüssten die Vögel, welches Schicksal sie erwarten würde, wenn sie an falscher Stelle landen würden. Ist es Intuition, Erfahrung oder gar ein Ergebnis der Evolution, das die Tiere davon abhält? Die traurige Wahrheit ist die, dass nichts davon der Fall ist. Jährlich sterben mehrere Millionen Tiere am „Stromtod“, der durch Stromschläge von Oberleitungen verursacht wird.
Als besonders kritisch betrachten Naturschützer die sogenannten Mittelleitungen, die als zusätzlich geerdete Blitzableiter-Kabel in der Mitte vieler alter Leitungssysteme gespannt hängen. Größere Vögel wie beispielsweise Störche oder Gänse kommen im Vogelflug oft versehentlich mit ihnen in Berührung, was sie im Regelfall das Leben kostet. Doch wir selbst werden schlichtweg zu selten Zeuge eines solchen Vorfalls.
Dennoch findet die Problematik auch in der Politik ihre Beachtung. Um dem Stromtod vieler Tiere effektiv entgegenzuwirken, trat im August 2011 die Anwendungsregel zum Vogelschutz an Mittelspannungsfreileitungen (VDE-AR-N 4210-11) in Kraft, die spezielle Vorgaben für den Neubau von Freileitungen im Sinne des Tierschutzes vorsieht. Diese neue Anwendungsregel ergänzt den ohnehin seit 2002 gesetzlich geregelten Vogelschutz an Energiefreileitungen, wie aus einem Artikel des Naturschutzbunds NABU hervorgeht.