Flamingos faszinieren uns nicht nur durch ihr farbenfrohes rosa Federkleid. Eine weitere, markante Eigenschaft macht die Vögel unverkenntbar: sie stehen gerne stundenlang auf einem Bein. Wir erklären, wie die Tiere solange ihre Balance halten können und weshalb Flamingos überhaupt auf einem Bein stehen, wenn sie doch zwei davon haben.
Wasserparasiten und Herz-Kreislaufsystem
Flamingos waren lange ein Rätsel für die Wissenschaft. Wie so oft waren es auch hier die vermeintlich einfachen Fragen, die Ratlosigkeit bei den Forschern hervorriefen. Um zu ergründen, warum die rosa Vögel so gerne auf einem Bein standen, entfalteten sich die verschiedensten Theorien.
Eine mögliche Theorie besagt, dass sich Flamingos durch ihren einbeinigen Stand vor Wasserparasiten schützen wollten. So zeigte sich gerade für Vögel, die durch flaches Wasser warteten, eine erhöhte Gefahr für einen Befall. Erhielten die Beine der Tiere allerdings regelmäßig Zeit, um zu trocknen, reduzierte sich das Risiko, da sich Keime weniger gut vermehren konnten.
Dieser Erklärungsversuch für den einbeinigen Stand basierte übrigens auf der Beobachtung, dass Flamingos ihr Standbein regelmäßig wechselten. Während es bei Menschen sowohl Rechts- als auch Linkshänder gibt, zeigt sich bei den rosa Vögeln keine Bevorzugung für ein bestimmtes Standbein.
Eine weitere These der frühen Forschung bestand darin, dass ein an den Körper herangezogenes Bein besser für den Kreislauf der Tiere sei.
Das Herz-Kreislaufsystem stellt allerdings ein grundlegendes System dar. Evolutionsbiologisch betrachtet ergibt es daher keinen Sinn, dass dieses System zugunsten eines Verhaltens geschwächt wird. Um den einbeinigen Stand für das Herz-Kreislaufsystem relevant zu machen, wäre das System während des zweibeinigen Standes folglich instabiler. Auf Basis dieser Argumentation entkräftigten Forscher diese These und verwarfen sie.
Die Thermo-These
Die beiden Psychologen Matthew Anderson und Sarah Williams stellten 2009 schließlich die sogenannte Thermo-These auf. Bei ihrer Arbeit an der Saint Joseph’s Universität in Philadelphia galt ihr Interesse insbesondere der Evolution von Verhaltensweisen.
Für ihre Forschung beobachteten sie Flamingos im Zoo von Philadelphia. Sie kam zum Ergebnis, dass die Vögel tatsächlich häufiger auf einem, als auf zwei Beinen standen. Zudem stellten sie fest, dass der einbeinige Stand insbesondere dann bevorzugt wurde, wenn sich die Tiere im Wasser aufhielten.
Ihre Beobachtung erklärten Anderson und Williams mit der Thermo-These. Sie legt nahe, dass die Thermoregulation der Vögel die Ursache für den Stand auf einem Bein sein könnte.
Die außergewöhnliche Verhaltensweise erlaubte es den Tieren anscheinend, ihren Energieverbrauch zu reduzieren. Sie verloren weniger Körperwärme, während sie im kühlen Wasser standen. Außerdem ließ sich beobachten, dass die Tiere ihr Standbein regelmäßig wechselten. So kühlten die Beine nie vollständig aus und wurden unter dem Federkleid der Flamingos wieder aufgewärmt.
Der passive gravitative Standmechanismus
Young-Hui Chang und Lena Ting, beide Wissenschaftler des Georgia Institute of Technology in Atlanta, stellten 2017 allerdings eine andere These auf. Dieser zufolge sollte der regelmäßige Wechsel des Standbeins eine Ermüdungserscheinung sein.
Um ihre These zu belegen, untersuchten sie in einer Studie die biomechanischen Grundlagen des Flamingostandes. Sie stießen dabei auf ein Phänomen, das Wissenschaftler als passiven gravitativen Standmechanismus bezeichnen. Damit ist ein Stand gemeint, der keinerlei aktive Muskelkraft erfordert.
Der Grund für dieses Phänomen findet sich in der Bein- und Hüftanatomie der rosa Vögel. So liegen sowohl Hüfte als auch Knie innerhalb des Körpers der Tiere. Stellen sich diese nun auf ein Bein, so ist ihr Knie angewinkelt. Die Folge ist, dass der Körperschwerpunkt genau vor dem Knie und exakt über dem Fuß liegt. Die Gelenke werden auf diese Weise so stark stabilisiert, dass Flamingos keinerlei Kraft aufbringen müssen, um ihre Balance zu halten.
Ihr Stand ist somit passiv und wird allein von der Gravitation gestützt. Hieraus ergibt sich der etwas sperrige Begriff des passiven gravitativen Standmechanismus.
Dass sich der Körper während des einbeinigen Standes von selbst trägt, konnten Chang und Ting auch an toten Flamingos zeigen. Denn selbst tote Tiere blieben auf einem Bein stehen, ohne umzufallen. Somit war offensichtlich, dass der Einbeinstand nicht nur stabil war, sondern auch keinerlei Muskelkraft erforderte. Im Vergleich fielen verstorbene Tiere übrigens um, wenn sie auf zwei Beinen standen.
Warum nun stehen Flamingos auf einem Bein?
Um die ursprüngliche Frage noch einmal kurz aufzugreifen, lässt sich Folgendes zusammenfassen:
- Es lässt sich immer wieder beobachten, dass Flamingos einen großen Teil ihrer Zeit auf einem Bein verbringen. Die ersten Theorien, die dieses Phänomen erklären wollten, schlugen als Grund etwa den Schutz vor Wasserparasiten und ein stabileres Herz-Kreislaufsystem vor.
- Im Jahr 2009 stellten die Psychologen Matthew Anderson und Sarah Williams eine Thermo-These auf. Laut ihr diente der einbeinige Stand der rosa Vögel der Thermoregulation. So sollte das Verhalten der Tiere ihren Energieverbrauch und den Wärmeverlust reduzieren sowie vor starker Kälte schützen.
- Die Wissenschaftler Young-Hui Chang und Lena Ting entdeckten im Jahr 2017 allerdings das Phänomen des passiven gravitativen Standmechanismus. Es sagt aus, dass sich der Körper von auf einem Bein stehenden Flamingos von selbst trägt. Studien an toten Flamingos zeigten, dass selbst diese nicht umfielen, solange sie auf einem Bein standen. Die Vögel müssen in diesem Zustand also offensichtlich keine Muskelkraft aufbringen, um ihre Balance zu halten. Es lässt sich daher festhalten, dass Flamingos auf einem Bein stehen, um ihren Energieverbrauch zu reduzieren.